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Wenn Schatten die Sonne verdunkeln,
wenn die Farben verblassen,
wenn die Wärme die Kraft verliert,
wenn der Wind schneidend wird,
dann hält die Hoffnung auf Licht aufrecht,
dann wärmt die Hoffnung im Herzen.
Wenn Schatten den Weg verdunkeln,
wenn der Orientierungssinn versagt,
wenn der Horizont im Düstern liegt,
wenn die Weggrenzen verschwimmen,
dann führt die Hoffnung durch das Ungewisse,
dann funkelt die Hoffnung in der Dunkelheit.
Wenn Schatten die Gesichter verdunkeln,
wenn die Konturen verwischen,
wenn ein Lächeln im Dunkeln stirbt,
wenn der Unterschied zwischen Freude und Trauer fällt,
dann nährt die Hoffnung die Suche nach Licht,
dann schimmert die Hoffnung hinter der Grenze der Dunkelheit.
Wenn Schatten die Herzen verdunkeln,
wenn Kälte die Gefühle verdrängt,
wenn unbarmherziger Druck die Gedanken verwirrt,
wenn die Grenze zwischen Freund und Feind verwischt,
dann wird die Suche nach Hoffnung zur Qual,
dann verschwimmt der Funke der Hoffnung in der Tiefe der Nacht.
Schatten!
Überall Dunkelheit und Kälte.
Ich renne durch die Straßen der Stadt. Meine Schritte hallen wider,
verzerrt, von hier, von dort.
Wo bin ich?
Nur Straßen, feucht, kalt, hohe, düstere Betonfassaden, ohne Leben, ohne
Wärme. Neonröhren werfen kaltes Licht, Nebel wälzt sich über den Boden.
Links und rechts gehen Straßen ab, verlieren sich im Dunkeln. Alle sehen
sie gleich aus, alle sagen sie mir nichts.
Weiter laufe ich. Angst. Einsamkeit. Leere. Keine Ende zu sehen, kein
Anfang zu finden.
An einer Kreuzung bleibe ich stehen. Mein Atem geht schleppend, ich bekomme
kaum noch Luft.
Wie ein Abgrund sieht die Straße vor mir aus, häßlich, kalt, feindlich,
verliert sich im düsteren Weiß des Nebels. Die Lampen gaukeln Helligkeit
vor, doch sie können die Düsternis der Straße nicht vertreiben.
Links der gleiche Anblick, rechts genauso. Irgendwo muß ich hin, doch sind
die Wege nur abstoßend. Irgendwo muß ich her, doch ist keiner der Wege
einladend.
Ich schrecke auf. Was ist das? Ein Geräusch? Oder nur eine Einbildung?
Eiskalt greift die Angst nach meinem Herz. Ist da wer? Ist da was? Etwas
Böses? Jemand Böses? Hier in dieser kalten, einsamen Gegend?
Da! Wieder! Obwohl, wenn ich lausche, den Atem anhalte, dann höre ich
nichts. Aber das Unbehagen bleibt, die Angst wird stärker, immer stärker.
Ich halte es nicht mehr aus. Ich laufe weiter, schneller als vorher. Meine
Schritte hallen von den Wänden wider, Echos bilden sich. Sind das alles nur
meine Schritte?
Ich biege ab. Die Straße sieht nicht viel besser aus als die anderen, aber
vielleicht kann ich meinen Verfolger abschütteln.
Verfolger?
Wer verfolgt mich eigentlich? Ist da nun wer? Und warum?
Die Fassaden rauschen an mir vorbei, Feuerleitern, Rohre, Leitungen,
vermauerte Eingänge, blinde Fensterscheiben, Schaltkästen. Immer wieder
tauchen sie aus dem Dunkeln auf, immer wieder verschwinden sie im
Dämmerlicht. Das Licht der Lampen schafft Kegel von Licht in der feuchten
Luft.
Immer noch nichts, immer noch die kalten, leeren Straßen. Panik erfaßt
mich, immer schneller renne ich. Ich keuche, die Seiten tun mir weh, doch
ich muß weiter, raus, weg von hier!
Der feuchte Boden der Straße glitzert, platschend laufe ich durch eine
kleine Pfütze. Vor mir verchwindet die Straße im verwaschenen Licht, im
wabernden, schmutzigen Weiß der feuchten, nebelgeschwängerten Luft. Links
und rechts, an den Wänden, begleiten mich meine Schatten, vor mir und
hinter mir, rennen vor mir, neben mir, verfolgen mich, lassen sich nicht
einholen.
Wieder um eine Ecke, dort presse ich mich an die Mauer. Kalt, eiskalt ist
sie, der Beton ist rauh. Ich drücke mich dagegen, ich bin völlig außer
Atem. Meine Beine tun mir weh, ich schnappe nach Luft. Ach, wie gerne würde
ich mich hinlegen, mich ausruhen. Mein Mund ist trocken, kaum kann ich
schlucken.
Mein Verfolger! Ist er noch hinter mir her?
Vorsichtig schaue ich um die Ecke. Die Straße ist leer, verschwindet im
Nebel. Niemand ist zu sehen. Aber die Angst ist geblieben, aber die Furcht
ist gestiegen. Etwas ist dort, ich kann es fühlen. Es muß von dort kommen.
Ich stoße mich von der Mauer ab, taumel vorwärts. Weiter, weiter, weg von
hier! Schneller, immer schneller, fort von hier!
Immer und immer wieder tauchen die Lampen vor mir auf, immer und immer
wieder erscheinen meine Schatten hinter mit. Laufe ich an den Lampen
vorbei, rennen auch die Schatten an mir vorbei, überholen mich,
verschwinden vor mir, während die nächsten Schatten hinter mir entstehen.
Meine Schritte hallen durch die Nacht, geben meinen Schatten Geräusche.
Ohne Ziel renne ich durch die leeren Straßen, mal links, mal rechts, mal
geradeaus. Ich spüre den Schmerz nicht mehr, die Kälte macht mir nichts
mehr aus. Weg von hier, aber wohin? Werde ich hier jemals herauskommen?
Wird mich mein Verfolger einholen?
Schatten!
Weiter laufe ich. Angst. Einsamkeit. Leere. Keine Ende zu sehen, kein
Anfang zu finden.
Wo soll ich hin? Immer stärker wird der Drang, stehenzubleiben, sich
irgendwo hinzuhocken. Einfach nur zu warten.
Meine Schritte hallen wider, verzerrt, von hier, von dort.
Wenn Schatten die Seele verdunkeln,
wenn das Funkeln der Augen vergeht,
wenn Gefühle zum Fremdwort werden,
wenn das Nichts zum Freund wird,
dann war die Suche nach Hoffnung vergebens,
dann verliert das Leben seine Kraft.
Schatten.
Wo ist dein Schatten?
Wo ist dein Licht?
Wo ist deine Hoffnung?
Wo ist dein Weg?
Wo sind Freude, Furcht, Liebe und Schmerz?
Schatten.
Schatten und Licht.
Licht.
Wo ist dein Licht?
Wo ist dein Schatten?
Wo ist dein Weg?
Wo ist deine Hoffnung?
Wo sind Freude, Furcht, Liebe und Schmerz?
Schatten und Licht.
Kein Schatten ohne Licht, kein Licht ohne Schatten.
Schatten und Licht.
Keine Freude ohne Furcht, keine Liebe ohne Schmerz.
Kein Schatten ohne Licht!
14.8.97
©2020 Holger Thiele
generiert aus "schatten.template" vom 28 07 2001
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