Am Ende des Weges

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Immer schlechter wird der Weg, immer höher die Felsen an den Seiten. Der Wanderer wischt sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl der in die Felsen eingeschnittene, schmale Weg nur wenig Sonne erhält, ist es heiß.

Weiter unten, im Tal, da hat sich der Wanderer für diesen Weg entschieden. Doch was am Anfang noch ein netter Waldweg war, wurde steiler, zerklüfteter und unübersichtlicher. Links und rechts wuchsen Felsen in die Höhe, führte der Weg hinein in das Gebirge. Ein paar Mal ist der Wanderer an Gabelungen vorbeigekommen, doch die abgehenden Wege sahen alle gleich aus.

Hoch sind die Felswände inzwischen. Steil und hoch, zu hoch, um herüberzuklettern. Der Weg führt nur nach vorne oder zurück.

Der Wanderer verschnauft. Er hatte von den Dingen gehört, die am Ende dieses Weges sein sollen. Schöne Sachen hatte man ihm prophezeit, deshalb hatte er sich für diesen Weg entschieden. Aber der Weg nimmt und nimmt kein Ende. Sollte das alles vielleicht nur ein Gerücht gewesen sein?

Der Wanderer rafft sich auf und geht langsam weiter.

Bald gerät er an eine Art Lichtung, eine größere Bucht im Fels, eine Kammer. Sogar Sonne scheint hier hinein, wenngleich die Felswände auch nicht niedriger sind.
Der Wanderer schaut sich um. Die Lichtung ist kreisrund, einige Meter im Durchmesser. An der rechten Seite stehen einige dichte Büsche, ansonsten ist nur Fels zu sehen.
Nur Fels!
Die Lichtung hat keinen Ausgang!

Ungläubig geht der Wanderer einige Schritte weiter. Tatsächlich! Nur Stein, dies ist eine Sackgasse.
Enttäuscht und verzweifelt schaut sich der Wanderer um. Nichts!
Alles umsonst!

Entmutigt dreht sich der Wanderer um, um sich auf den Rückweg zu machen.

Doch in diesem Augenblick betritt der Fremde die Lichtung.

Der Fremde scheint ein wenig kleiner zu sein als der Wanderer. Er trägt einen dunklen Umhang, der seinen Körper komplett bedeckt, dazu einen tiefsitzenden Hut. Eine komische Gestalt, doch sein Gesicht wirkt offen und freundlich.

Der Fremde lächelt. "Hallo, Wanderer!" grüßt er.

Der Wanderer ist erschrocken. Wo kommt dieser Fremde jetzt her? Er hatte niemanden hinter sich gehört, hatte niemanden zwischendurch getroffen, und jetzt plötzlich steht dieser unheimliche Fremde vor ihm.
Nun, so unheimlich aber kommt ihm der Fremde gar nicht vor. Vielmehr hat er plötzlich das Gefühl, ihn schon mal gesehen zu haben, mehr als einmal sogar. Aber er kann sich nicht genau daran erinnern.

"Wer bist Du?" fragt der Wanderer vorsichtig.

Ein Funkeln tritt in die Augen des Fremden. Er tritt näher, geht um den Wanderer herum, bis er an der dem Weg entgegengesetzten Seite des Kessels angekommen ist.
"Ich bin der, der Dich nach Deinem Weg fragt." sagt er, und das Funkeln in seinen Augen wird stärker.

Der Wanderer ist verwirrt. Der Fremde will ihn nach seinem Weg fragen? Und das Funkeln in seinen Augen! Aber so unheimlich es auch sein mag, es strahlt Hoffnung aus.

Der Fremde spricht weiter: "Ja, oft schon habe ich Dich gefragt. Und auch diesmal frage ich Dich!"
Der Fremde hebt den Arm, und sein ausgestreckter Zeigefinger zeigt auf den völlig verwirrten Wanderer.
"Ist dies der Weg, den Du gehen willst? Ist dies Dein Weg?"

Der Wanderer blickt gebannt auf den ausgestreckten Arm des Fremden. Immer mehr Erinnerungsfetzen kommen hoch, immer mehr erinnert er sich bruchstückhaft an vergangene Zeiten. Dunkle Erinnerungen kommen hoch, doch er kann ihnen nicht genau folgen, denn die Augen des Fremden ziehen ihn in seinen Bann.

"Ist dies der Weg, den Du gehen willst? Ist dies Dein Weg?"

Die Gegenwart versinkt, die Vergangenheit nimmt Besitz vom Wanderer. Er denkt an die Erzählungen, an die Entscheidung, an den Weg, an die Felsen, an die Strapazen, und an die Sackgasse hier.

"Ist dies Dein Weg?" fragt der Fremde, und diese Frage bohrt sich tief in den Geist des Wanderers.

Die Strapazen, die Sackgasse .... diese Gedanken halten ihn gefangen. Wohl hat er einen Fehler begangen, er hätte sich nicht für diesen Weg entscheiden sollen, der doch so in Irre führt. Er hätte dem breiten Weg in die große Stadt folgen sollen.

Der Fremde läßt den Arm fallen, sein Blick sinkt nach unten. Das Funkeln in seinen Augen erlischt, er läßt die Schultern hängen.

"Nein, nicht schon wieder!" seufzt er.

Doch ehe der Wanderer über diesen Satz nachdenken kann, richtet sich der Fremde ruckartig wieder auf!
Viel größer wirkt er jetzt, und sein Gesicht ist hart, durchzogen von Wut und Resignation! Ein trauriger Schimmer tritt in seine Augen.

"Und wieder hast Du aufgegeben!" ruft der Fremde mit bebender Stimme. Erschrocken weicht der Wanderer zurück. Jede Freundlichkeit ist aus dem Gesicht des Fremden verschwunden.
"Wieder und immer wieder!" Der Fremde ballt die Faust. "Schon wieder! Du hast gar nicht gesucht, und somit wirst Du auch nichts finden!"
Wieder streckt der Fremde seinen Arm aus, doch diesmal bildet seine Hand eine Kralle, als ob er nach dem Wanderer greifen will.

"Ich bin der, der Dir den einfachen Weg zeigt!" Die Worte des Fremden schmerzen in den Ohren des Wanderers, und plötzlich fühlt er einen brennenden Schmerz in seinem Herzen.

In Panik dreht er sich um und will den Weg zurücklaufen. Nur weg von hier!

Doch der Weg ist weg! Der Eingang in die Felskammer ist verschwunden, nur noch massiver Stein ist zu sehen! Der Wanderer prallt dagegen und schreit vor Schmerz auf.

"Ja, laufe weg!" stößt der Fremde hervor. "Ja, wie immer! Laufe weg! Ich werde Dir den einfachen Weg zeigen. GEH!"

Der Wanderer wird herumgerissen. Die Landschaft wirbelt um ihn herum, dann versinkt er in kalter Dunkelheit, die sich in seinen Körper und seine Seele drängt.
Als sich die Dunkelheit legt, steht der Wanderer wieder im Tal, an der Weggabelung. Er blickt auf den einen Weg. Schöne Erzählungen hat er gehört. Wie gerne würde er dort entlanggehen. Doch er hat Angst davor. Tief im Inneren spürt er zwar ein Gefühl von Trauer, Leere und Schmerz, doch er kann es nicht genau zuordnen.
Er wendet sich zu dem anderen Weg. Ein breiter, einladender Weg, der direkt in die große Stadt führt, völlig ohne jedes Risiko. Dort würde er schon weitersehen.

Der Wanderer betritt den einfachen Weg.

Der Fremde hockt sich auf den Boden. Seine tränenerfüllten Augen blicken leer und ohne jedes Funkeln zur Erde.
"Warum hat er nicht gesucht?" schluchzt er. "Warum hat er noch nie gesucht?"
Er blickt zur Seite, zu den Büschen. Sicher, Dornen haben diese Büsche, doch hinter ihnen befindet sich ein enger Gang. Keine Sackgasse, nein, dies hier ist keine Sackgasse, sondern der Anfang eines Weges. Aber nicht mehr für den Wanderer, für ihn war es das Ende des Weges!

Plötzlich blickt der Fremde auf. Nein, diesmal nicht!
Entschlossen steht er auf. Diesmal will er ihn nicht gehen lassen! Er dreht sich herum. Seine Augen richten sich gegen eine Wand, doch sein Blick richtet sich auf den Wanderer, dort in der Ferne auf seinem einfachen Weg.
Einen Schritt tut der Fremde, und tritt aus dem Schatten der Bäume auf den Weg vor dem Wanderer.

Erschrocken bleibt der Wanderer stehen. Der Fremde kommt ihm bekannt vor, doch er kann sich nicht genau erinnern.
"Wer bist Du?" fragt er erschrocken.

Ein bohrendes, entschlossenes Funkeln tritt in die Augen des Fremden. "Ich bin der, der Dich nach Verlust und Schmerz fragt!" sagt er mit leiser Stimme. Langsam hebt er seine Hand, und sein nicht ganz gestreckter Zeigefinger deutet auf den Wanderer. "Denk nach!"

Und die Erinnerung kommt! All die Begegnungen mit dem Fremden, all die Fragen nach dem Weg, all die Rückzieher, all die Fluchten vor sich selbst.
Die Verluste.
Und der Schmerz!

Weinend bricht der Wanderer zusammen.

Ist das das Ende des Weges?

Der Wanderer spürt zwei fest zupackende Hände auf seiner Schulter. Er spürt Zuversicht, und blickt mit tränenüberströmten Augen in das Gesicht des Fremden.
"Ja." sagt der Fremde. "Dies ist das Ende Deines Weges. Aber es liegt ein neuer Weg vor Dir. Du mußt ihn nur betreten."
Ein zuversichtliches Funkeln liegt in den Augen des Fremden. Geborgenheit durchströmt den Wanderer, der Schmerz verebbt. Die Einsamkeit verschwindet.

"Ich bin der, der Dir Deine Kraft zeigt!" spricht der Fremde, während er aufsteht und den Wanderer hochzieht. "Deinen Weg mußt Du selbst gehen, aber alleine bist Du nicht. Trau Dich, und geh!"

Tief atmet der Wanderer ein. Er wischt sich die Tränen aus den Augen. Als er die Hände wieder senkt, ist der breite Weg verschwunden. Er steht wieder in der Felskammer, und er ist allein!
Völlig verwirrt wirbelt der Wanderer herum. Doch niemand ist zu sehen, niemand ist zu hören, niemand ist da.
Wo ist der Fremde geblieben?
Kann das ganze Wirklichkeit gewesen sein?
Nein, eigentlich nicht, doch noch immer sind die Augen des Wanderers feucht.

Das Ende des Weges!

Der Wanderer blickt sich um. Sein Blick fällt auf die Büsche. Er kniet sich hin, drückt die Büsche mit den Händen auseinander. Dicht sind die Büsche, Dornen bohren sich in sein Fleisch, doch entschlossen reißt er einen Strauch nach dem anderen heraus.
Ein Loch im Felsen taucht auf.

Ein Weg!

Eng, beschwerlich, aber ein Weg.

Der Anfang des Weges!

Noch einmal blickt der Wanderer zurück. Dann richtet sich sein Blick nach vorne, und er klettert in das Loch, seinem unbekannten Ziel entgegen.

Hinter ihm betritt der Fremde die Felsenkammer. Hoffnungsvoll schimmern seine Augen, während er dem Wanderer durch das Gestein hinterherblickt.

"Ja, ich bin der, der Dich auf Deinem Weg beobachtet!" flüstert der Fremde.

"Geh!"

10.5.97 Es Die literarische Ecke Hätte ich ....


©2020 Holger Thiele
generiert aus "weg.template" vom 28 07 2001
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